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Es gibt wenig wirklich überzeugende Filme über Tango, da es immer sehr schwierig ist,
die damit verbundene Philosophie mit den vorhandenen Klischees und wiederkehrenden
Phrasen in Einklang zu bringen. Anja Hansmann und Sebastian Schnabel gelingt mit ihrer
Dokumentation genau das. Sie wollen der Welt nicht den Tango erklären, und vor allem
erliegen sie nicht der Versuchung, dem Zuschauer ihre ganz persönliche Sicht vor Augen
zu führen. Stattdessen lassen sie zwei Tangopaare erzählen und vermitteln uns dadurch
einen aktuellen Zustandsbericht über den Gegensatz zwischen traditionellem Tango und
modernem elektronischen Tango in Buenos Aires:
Da sind auf der einen Seite Graciela Cano und Pedro Vujovich, die seit 40 Jahren ihren
Salon-tango zelebrieren und sich noch immer schätzen und lieben.
Und das auf eine selbstverständliche unaufdringliche, liebenswerte Art, dass dies den
Zuschauer tief berührt. Zum NeoTango äußern sie den Satz “Tango electronico - um ehrlich
zu sein, wir wissen gar nicht, was das eigentlich ist.”
Auf der anderen Seite erleben wir das junge Tanzpaar Ciça Camargo und Santiago Dorkas bei
ihren Anfängen als professionelle Tänzer. Die beiden sagen über sich, dass sie eine
“andere Art des Tango” leben.
Sie proben hart zu den elektronischen Tangobeats, mit denen sie mehr anfangen können,
als mit den alten Aufnahmen. Am Ende der Proben wartet ein erster großer Auftritt auf
die beiden.
Der dramaturgisch gut aufgebaute Erzählstrang wechselt zwischen den beiden gegensätzlichen
Paaren. Bild für Bild lernen wir die Protagonisten und ihre verschiedenen Sichtweisen auf
den Tango besser kennen und verstehen. Und das funktioniert in diesem Film vor allem darum
so gut, weil die beiden Filmemacher sich auf die Hauptfiguren konzentrieren und auf effektvolles
Beiwerk verzichten. Hier entsteht eine Authentizität, die nicht aufgesetzt wirkt, sondern
für sich spricht.
Ergänzt wird die Geschichte durch drei zeitgenössische Tangobands. Die Musiker von Otros Aires,
San Telmo Lounge und Narcotango um Carlos Libedinsky erzählen, wo ihre Wurzeln und Einflüsse
liegen und warum sie ausgerechnet elekronischen Tango spielen: “Den Tango hier in Argentinien
zu ändern, ist das größte Tabu.”, bemerkt Miguel Di Genova von Otros Aires. Und vielleicht
steckt genau darin die große Herausforderung: Etwas zu verändern, was landläufig als unveränderbar
gilt.
Anja Hansmann und Sebastian Schnabel legen hier eine überzeugende Dokumentation über den
Tango des heutigen Buenos Aires vor. Es finden keine Anklagen statt, sondern jeder lebt seinen
Tango auf seine nachvollziehbare Art und Weise. Darüber hinaus ist der Film nicht nur sehr
inhaltsreich, sondern auch unterhaltsam und kurzweilig.
Fazit: “Más Tango” ist ein überaus gelungener Film, den man gesehen haben muss.
tangotanzen.com
„Dieser Tanz nimmt Dich als Geisel“- Der Dokumentarfilm Más Tango
von Anja Hansmann und Sebastian Schnabel, D 2006, 57 min.
Warum Tango? Ja, warum ausgerechnet Tango? Auf dem Gesicht des Bandoneonisten
Omar Massa zeichnet sich völlige Leere ab. Sein ganzer Körper ist Ausdruck dafür,
dass er nicht versteht. Warum er Tango spielen würde? Warum Bandoneon? Was ist das
für eine Frage? Was gibt es darauf f ür eine Antwort? Doch Omar Massa fragt nicht,
er schaut nur fassungslos. Die anderen Mitglieder der Elektrotango-Truppe „Otros Aires“
versuchen zu helfen: Warum spielst Du Tango und warum nicht Rock’n’Roll? fragen sie.
Warum Bandoneon und warum nicht ... nun, warum nicht Bass? Das Bandoneon sei schön,
sagt Omar Massa verständnislos, und der Bass eben nicht. Und er beginnt, das Bandoneon
mit ein paar melancholischen Tönen auseinander zu ziehen und faltet dabei die ganze
Schönheit dieses merkwürdigen Instrumentes auf. Da hört doch, schaut doch, scheint
er zu sagen. Deshalb Bandoneon. Deshalb Tango.
Diese Szene der Sprachlosigkeit ist eine der berückendsten des einstündigen
Dokumentarfilmes „Más Tango“ von Anja Hansmann und Sebastian Schnabel. Und obwohl die
Frage nach der Faszination, die der Tango ausübt nicht explizit Thema ist, durchzieht
sie den ganzen Film.
Anlass für Anja Hansmann sich 2006 in Buenos Aires auf die Suche nach dem Tango zu begeben,
war das (und auch ganz persönlich ihr eigenes) neu entbrannte Interesse am Tango und im Zuge
damit die Elektro-Tango-Welle. Mit „Más Tango“ wollen die Filmemacher eine „Zustandsbeschreibung
des neuen und des alten Tango in Buenos Aires“ vorlegen. Und gehen der Frage nach, wie jene,
die den Tango erst in den vergangenen Jahren für sich entdeckt haben sich im Verhältnis zum
„alten“ Tango verorten. Wo stehen sie? Wo steht die Tradition? Was unterscheidet sie? Und
was ist ihnen gemeinsam?
Protagonisten und scheinbare Gegenpole sind zwei Tanzpaare: Cica Camargo und Santiago
Dorkas, die ihren ersten groflen Auftritt beim Festival C.I.T.A 2006 in der „Nacht der
jungen Tänzer“ vorbereiten. Und Pedro Vujovich und Graciela Cano, die seit 44 Jahren
zusammen leben und tanzen und 2005 zum Vizeweltmeister im Salontango gekürt wurden.
Diese beiden so unterschiedlichen Tanzpaare werden an ihnen wichtige Orte begleitet:
Die Jungen in den Übungssaal und auf die Bühne, die Alten in ihre Wohnung und auf die
Milonga. Wie gebannt verfolgt die Kamera den ausladenden, theatralischen Bewegungen Cicas
und Santiagos und zeigt die blitzschnellen Drehungen Pedros und die Fußspielereien Gracielas
auf dem Parkett der Confitería Ideal.
Die Gegensätze dieser beiden Paare resultieren übrigens nicht so sehr aus ihrem unterschiedlichen
Alter, sondern mehr aus ihrer Vorliebe für den Bühnentango auf der einen Seite und für den Salontango
der Milongas auf der anderen Seite: Gäbe es nur die Tangomusik von vor Pugliese, sagt Santiago,
dann wüsste er nicht, ob er überhaupt tanzen würde, er suche die bewegtere Musik. Das wichtigste
am Tango sei der „compás“ sagt Pedro, der Rhythmus des Tango. Während für Cica die Bühne magische
Anziehung besitzt, erklärt Graciela die Milonga zur Tango-Zentrale. Möchte Santiago mit allen
Möglichkeiten, die ihm sein Körper gibt tanzen, ist für Pedro das Schönste die Umarmung und das
Gefühl eines Tango auf der Milonga.
Die Ansichten dieser vier Tänzer zum Leben und zum Tango werden durchwoben von Statements aus der
musikalischen Ecke: Die Elektroformationen „Otros Aires“, „San Telmo Lounge“ und Carlos Libedinsky,
Kopf von „Narcotango“, kommen zu Wort sowie der Bandoneonist Osvaldo Montes.
Natürlich ist der Film recht plakativ, wenn er den „jungen“ Tango dem „alten“ Tango gegen überstellt.
Natürlich gibt es ungezählte Beispiele junger Tänzer, die sich mit dem Salon-Tanz beschäftigen,
ungezählte junge Musiker, die den Tango ohne Elektro-Loops als zeitgemäßen Ausdruck empfinden
und ungezählte Menschen jeden Alters, die diese Schere gar nicht erst aufmachen und nur einen
Tango kennen. Trotzdem zeigt der Film einen unterhaltsamen, kurzweiligen Ausschnitt des Tangolebens
in Buenos Aires im ersten Jahrzehnt unseres neuen Jahrtausends mit schönen Bildern und schönen O-Tönen.
Und er kommt immer wieder auf die Frage zurück, die wir uns alle stellen: Warum eigentlich Tango?
Ganz einfach: Die Leute wollen sich anfassen, sagt Miguel die Genova, Sänger von „Otros Aires“.
Nach so langer Zeit ohne wirklichen Kontakt, nach so viel Mail, so viel Chat, so viel Handy wollen
die Leute sich berühren, deshalb wird der Tango auch noch weiter wachsen.
Der Tango macht dich abhängig, sagt Carlos Libedinsky, er betäubt, er bringt Dein Leben durch-einander,
Du tanzt die Nacht durch und kannst einfach nicht aufhören; dieser Tanz nimmt
Dich als Geisel.
Wenn ich traurig bin, sagt der Bandoneonist Osvaldo Montes, dann spiele ich Tango, nicht weil
er mich fröhlich macht, sondern weil er mich tröstet.
Den Tango, sagen die Alten, den Tango tanzt man für sich. Weil man ihn fühlt. Er tritt durch die
Ohren ein, kommt im Herzen an und verlässt Dich durch die Poren.
Der Tango, das zeigt der Film sehr schön, ist eine Lebenshaltung, wie der Blues. Eine ewige Frage,
die man immer wieder stellt ans Leben. Egal wie alt man ist.
Hans W. Geißendörfer Nachwuchspreis
Kann man noch eine Geschichte über Tango erzählen?
Gibt es da nicht schon zu viel an europäischer Glorifizierung dieses Tanzes, auch nicht schon
zu viele Filme? Wer dieses Thema wählt, muss sich einiges zutrauen. Und wer uns dann eine Stunde
mitnimmt durch Tage und Nächte in Buenos Aires, der muss einiges zu bieten haben.
Más Tango hat keine Probleme, uns mitzuziehen, wir treffen höchst sympathische tanzverrückte Menschen und eine
so lebendige Tradition, dass man vor Neid europäisch blass werden könnte. Denn der Film handelt
auch von der Entwicklung in der Tradition, von modernen Tanzstilen und zeitgenössischer Tangomusik,
die unter Elementen von Rock und Elektronik nie ihre Herkunft verleugnet. Und auch die alten
Meistertänzer, die schon beim Auflegen der CD vom Rhythmus erfasst werden, unterscheidet weniger
von dem jungen Tanzpaar als sie glauben. Die Jungen tanzen ebenso leidenschaftlich, aber sie
entwickeln ihren eigenen Stil. Natürlich ist es der ewige Konflikt zwischen Jung und Alt, zwischen
Tradition und Moderne, aber der Film schafft es, durch Wahl und Platzierung der Protagonisten
Spannung, Information und Witz auszubalancieren, er entwickelt einen eigenen Sound, eine eigene
visuelle Struktur und einem Sog, der den Zuschauer dann doch davon überzeugt, dass man noch viele
Geschichten vom Tango erzählen kann – wenn man sie nur so gut erzählt wie Anja Hansmann und Sebastian Schnabel
Argentinisches Tageblatt
Buenos Aires – Am Dienstag präsentierten die beiden deutschen Filmemacher Anja Hansmann und Sebastian
Schnabel aus Mainz ihren neuen Dokumentarfilm Más Tango.
Zur Premiere im Goethe-Institut kamen circa 50
begeisterte Gäste, darunter auch einige der Protagonisten. Der Film Más Tango ist ein unabhängiges Projekt,
das mit der Unterstützung der Landesmedienförderung Rheinland-Pfalz entstanden ist.
Anja Hansmann tanzt seit zwei Jahren Tango. Bei einem Besuch in Buenos Aires im Jahr 2005 fiel ihr auf,
wie stark sich der elektronische Tango entwickelt hat und die jungen Leute auf die Tanzflächen zieht. Dies
inspirierte sie zu der Idee, nach dem „jungen“ und dem „alten“ Tango in Buenos Aires zu forschen und festzuhalten, was Stand der Dinge ist.
Sie ging auf die Suche nach Tanzpaaren und Musikern aus beiden Generationen und fand Ciça Camargo,
Santiago Dorkas, Graziella Cano undPedro Vujovich, die aus ihrem Tänzerleben erzählen, sowie die Bands
Ottos Aires, San Telmo Lounge, Narcotango und den Bandoneonisten Osvaldo Montes.
Gemeinsam mit Sebastian Schnabel begann Anja Hansmann das Projekt im Januar 2006 zu realisieren.
Nach dem vierwöchigen Dreh begann die Postproduktion auf zwei Kontinenten. Dank schneller Datenleitungen
und Internet konnten die beiden das Projekt – er in Deutschland, sie in Buenos Aires – gemeinsam
bearbeiten. Das bedeutete zum Teil achtstündige Telefonkonferenzen mit gleichzeitiger Nutzung von
Computern und Schnittprogrammen. Am vergangenen Samstag traf Sebastian Schnabel mit dem frisch
fertiggestellten Film in Buenos Aires ein. Durch eine gelungene Montage zeichnet der Film ein
vielschichtiges und glaubhaftes Bild der Tänzer und Musiker, die ihren eigenen Tango leben und lieben.
Am 2. November werden Hansmann und Schnabel in Gera mit dem Hans W. Geißendörferpreis geehrt.